Formtat
Unsere Eltern warten auf Nachricht. Die sind wir ihnen schuldig. Ständig rufen sie an, aber wir gehen nicht ran. Wir wollen nicht die immer gleichen Gespräche führen. Wir beschließen, aus einer Brauselaune heraus, ihnen zu schreiben. Dafür brauchen wir Input, um ihnen glaubwürdig zu erscheinen und uns selbst zu glauben, und Briefpapier. Bis-dann-H holt ihre alte Postmappe und Stifte. Wir greifen zu.
Wir spielen Wetter Befinden Tätigkeit Essen.
Hab‘s-schön-M schreibt: Gewitter Gabelspagetti Gehen Gut.
Viele Grüße-O findet das zu fad, greift aber auf Hab’s-schön-Ms Gs zurück:
Gerölldonner Gähnen Gnoccisgebraten ganzgutsoweit. Gegen das Gähnen hat Bis-dann-H was. „Gähnen kann auf Langeweile und Müdigkeit hinweisen. Erschöpfung sogar. Da rufen deine Eltern doch erst recht an.“
„Wir könnten Fragen stellen.“
„Ja, kurze! Auf die sie Lust haben schriftlich zu antworten.“
Tschüss-K hört gar nicht mehr auf zu nicken, hat aber auch keine Idee für eine mögliche Umsetzung.
„Unsere Eltern sind doch Generation Handy. Die wollen digital und nicht Zettel und Stift. Meine tippen selbst ihre Einkaufszettel ins Phone.“
„Aber über Post freuen sie sich auch, oder?“
„Wenn‘s keine Rechnungen sind, ja!“
„Sollen wir Fragen zu offenen Rechnungen stellen? Vielleicht sind sie dann erleichtert, dass sie keine haben und wollen uns das dann mitteilen.“
„Mhhh…“, meint Bis-dann-H, während Tschüss-K, Viele-Grüße-O und Hab’s-schön-M wie wild zu schreiben anfangen. Alles-Liebe-Ch schaut zu, wartet ab. Beim G hatte er nicht geglänzt, sich viel blaue Tinte über die Schreibhand geschmiert und nicht mal vorlesen wollen.
„Morgensonne Marmorkuchen mittelmäßig Machen“, liest Tschüss-K und merkt beim Vorlesen, dass sie damit nicht punkten wird. Kein*e andere*r hat eines ihrer Wörter. Diese zählen nur, wenn sie für die anderen ansprechend und für die elterliche Post inspirierend sind.
Viele-Grüße-O liest wieder als Letzter. Auf seinem Blatt stehen mehrere Wörter zu jedem Buchstaben.
„Montagswetter Mäuseschwänze Mittagslaune Magnolienschauen.“
„Mensch, Viele-Grüße-O, richtig lyrisch“, sagt Tschüss-K, weil sie das Gefühl hat, die Stimmung etwas anheizen zu müssen, um sich nicht allein defizitär zu fühlen. Die anderen schweigen, kritzeln Kreise, malen Quadrate auf ihre Briefpapierränder.
„P“, sagt Hab’s-schön-M und tobt übers Papier.
„Pfützenregen Pfannkuchen Piktogrammezeichnen platt“, liest sie schreiend vor, nachdem sie den letzten Buchstaben aufs Papier gesetzt hat. „Eierkuchen oder Pfannkuchen?“, fragt Bis-dann-H und Hab’s-schön-M kann sich nicht entscheiden, weil Pfannkuchen so gut passt, sie aber lieber Eierkuchen mag. „Mit den Piktogrammen finde ich stark“, sagt Viele-Grüße-O und Tschüss-K: „Ja, vielleicht schreiben wir gar nicht, sondern zeichnen.“ Für Minuten ist es still. Hier wird gedacht. „Joa“, sagt Alles-Liebe-Ch und kritzelt auf seinem Papier. Mit rotem Kopf zeigt er seine Zeichen-Zeichnungen in die Runde. Wir raten, aber auch nach dem zehnten Versuch schüttelt Alles-Liebe-Ch den Kopf. Eine Chance haben wir reihum noch. Trotz gegenseitiger Beratung lösen wir keines seiner Bilder auf und verlieren die Lust. „Wollen wir fertig werden? Auf mich übt das ganz schönen Druck aus“, sagt Viele-Grüße-O und Bis-dann-H verschwindet wieder in ihrem Zimmer. Wir hören sie kramen. Sie kommt freudestrahlend mit einem Stapel Postkarten zurück, verwischt sie auf der Tischplatte und legt Briefmarken dazu. Für jede*n von uns eine. „Sucht euch das Bild aus, was euch als erstes anspricht“, sagt sie und Tschüss-K muffelt: „Spielen wir Therapie oder was?“ Bis-dann-H ignoriert Tschüss-K’s Kommentar und formuliert ein mögliches Ziel: „Wir schreiben jetzt jede*r für sich, lecken die Briefmarken an, kleben sie auf und ab geht die Post.“ „Einfach so aus der Kalten?“, fragt Alles-Liebe-Ch. Alle nicken instant, weil das jetzt ein Ende finden soll.
Hab’s-schön-M stellt ihren Handywecker: „Auf! Fünf Minuten!“ Und dann schauen wir uns an, grabschen uns einen Stift, greifen eher wahllos jede*r eine Postkarte und kritzeln los. Als Hab’s-schön-Ms Wecker schrillt, haben wir rote Gesichter, eine flache Atmung, beschriebene Postkarten und Durst. Bis-dann-Hs Vorräte sind bereits aufgebraucht. Wir gehen gemeinsam zum Späti, auch weil davor ein Briefkasten steht. Nach und nach werfen wir alle etwas zu feierlich, Alles-Liebe-Ch sogar sehr albern, unsere Post ein. Ob sich unsere Eltern gefreut, uns gar zurückgeschrieben haben, erzählen wir uns ein anderes Mal. „Abgemacht?“, fragt Tschüss-K. Und dann legen wir alle unsere Hände übereinander und sagen unisono: „Abgemacht!“, sehr laut zur eingeschalteten Laterne hinauf und also in die Nacht, erleichtert und froh, dass wir Dinge geregelt kriegen.
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